Max Ragwitz schreibt in seinen kulinarischen Portraits:
http://www.kulinarische-portraits.de/
Im Interview: Anemone Müller-Großmann
...eine Frau, die gern (auch kulinarisch) philosophiert
Anemone
Müller-Großmann, Jahrgang 1980, verheiratet, 2 Kinder
hat
Bäcker und Konditorin gelernt und gehörte zum Eröffnungsteam im Salzburger
Hangar 7, nach der Meisterschule betreibt sie seit 2006 das Cafe CaRe in
Königshain
Was
ist für Sie kulinarischer Genuss im Allgemeinen und im Besonderen?
Wichtig ist mir in jedem Fall, sympathische Menschen um mich zu haben, mit denen
man in einem ansprechenden Ambiente eine gute Zeit verbringen und kulinarisch
genießen kann.
Wie
beschreiben Sie Ihre kulinarische "Philosophie"?
Ich stehe für bodenständige, einfache Küche, die aus beliebigen Produkten das
gewisse Etwas heraus kitzelt, ohne zu viel zu kombinieren. Das Produkt muss der
Star bleiben.
Beschreiben Sie Ihr kulinarisches Angebot in einem Satz?
Saisonale, regional geprägte, dem Leben zugewandte pfiffige Küche, die den
liebevollen Umgang mit dem Produkt widerspiegelt.
Woraus schöpfen
Sie Ihre kulinarischen Ideen?
Ich schaue mich über Internet und Printmedien in der kulinarischen Welt und
entwickle daraus eigene Interpretationen, die auch mal Fernweh wecken und das
Nachdenken über kulinarische Erlebnisse anregen sollen.
Sie
setzen kulinarisch offenbar auf einen Mix von Süßem und einfachen, deftigen
Speisen? Wie kommt dieses Angebot an?
Essen muss Lust und Laune verkörpern. Keinesfalls sollte man festlegen, was man
wann essen darf oder soll. In diesem Sinne lasse ich meinen Gästen völlige
Freiheit der Auswahl und sehe immer wieder, dass das sehr gut ankommt.
Was zeichnet Ihre
Küche zu vergleichbaren Angeboten im kulinarisch Umfeld aus? Worin wollen Sie
sich bewusst unterscheiden?
Ich achte eigentlich gar nicht so sehr auf diejenigen, die man als Mitbewerber
bezeichnen kann. Wir kochen so, wie wir es gern woanders vorfinden möchten. Und
wenn dann noch ein kleiner Unterschied in Zubereitung und Präsentation
herauskommt, ist es nahezu optimal.
Nach welchen Kriterien entwickeln Sie Ihre Speisen zu Anlässen aller Art?
Der Preis spielt keine herausragende Rolle, wohl aber die Saison. Es muss
letztlich auch zu den Gästen passen, die bei uns einkehren oder feiern. Da ist
vor allem Individualität gefragt.
Sie wollen auch
Europas kulinarisches Welterbe bieten. Woher holen Sie sich die Ideen für diese
Küche?
Das hatte ich an anderer Stelle bereits angemerkt: Das Internet bietet da schier
unendliche Möglichkeiten der Recherche. Außerdem hat meine Köchin viele Ideen.
Wir entwickeln gemeinsam viele Dinge und schöpfen aus der Erfahrung, was der
deutsche Gast wünscht, aber auch, was wir ihm an neuen kulinarischen Erfahrungen
anbieten können.
Wie
leben Sie als Köchin Ihre kreative Ader als Koch aus? Legen Sie sich
Beschränkungen beispielsweise monetärer Art auf?
Beschränkungen setzen wir uns a priori nicht. es muss einfach passen mit den
Dingen, die hier erhältlich sind. Das ist auch
eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft.
Kommt Ihre Küche ohne "Verstärker"
oder Convenience-Produkte aus?
Kurz und bündig: ja
Woher beziehen Sie Ihre Produkte? Wie wichtig
ist Ihnen die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern?
Wo es nur irgendwie geht, suche ich diese regionale Zusammenarbeit. Das ist
nicht immer leicht und man muss diesbezüglich ausgleichend und wirtschaftlich
denken.
Nachgefragt: Was halten Sie von der aktuellen Flut von Kochsendungen aller
Couleur? Auf welche Art davon kann die Welt verzichten?
Man kann die Leute dadurch sehr wohl an gutes Essen heranführen. Leider wird
in einschlägigen Sendungen zu oft ein stark idealisiertes Bild von Koch und
Kochen vermittelt. Auf viele solcher Shows kann man also guten Gewissen
verzichten.
Welche der bekannten deutschen Köche sind für Sie eine Art Vorbild in Bezug
auf Authentizität und Qualität des Kochens?
Da möchte ich keine Namen nennen. Und die ich besonders schätze, müssen gar
nicht immer die Granden der Zunft sein. Bei Werbung fängt für mich allerdings
die Authentizität eines Koches an zu bröckeln.
Welchen Traum als Köchin würden Sie sich gern noch verwirklichen?
Ich würde gern noch mehr mit den Menschen arbeiten und sozusagen
Genussarbeit leisten. Es muss eine neue Ess-Kultur her, die eingefahrene
Schleifen auflöst.
Wie muss ein Restaurant aussehen und was muss es Ihnen bieten, um sich dort
als Gast wohl zu fühlen?
Ich möchte auch in den kleinen Details positiv überrascht werden. Schon das
Flair muss individuell ausdrücken , dass man als Gast willkommen ist. Eine Art
Schema aber dafür habe ich nicht. Der erste Eindruck ist diesbezüglich für mich
sehr wichtig.
Was hat ein Köchin wie Sie für Hobbys? Spielt
Kulinarik für Sie auch in der Freizeit eine Rolle?
Ich bin sehr gern kreativ, lese, nähe und bastle gern. Und ich philosophiere
auch gern über Gott, die Welt und neue Projekte. Ganz abgesehen davon, dass ich
sehr gern Wein genieße und mich auch darüber austausche. da sucht man auch stets
nach neuen kulinarischen Ideen.
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Hier unser neuste Veröffentlichung. Das Buch ist sehr
empfehlenswert für Kulturinteressierte in Mitteldeutschland.
Hier ein Einblick in dieses schöne Buch auf
Unsere
Seite dieses Buches.pdf
Auszug aus dem Titel „Faszination
Welterbe – Deutschlands Osten“
Neuer Umschau Buchverlag, November 2014, 978-3-86528-859-2,
34,95 €
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Quelle: sz-online/Sächsische Zeitung
Dienstag, 6. Dezember 2011
Wo es nach Zimt und Schokolade duftet
Im Café „CaRe“ in Königshain läuft die Produktion von feinsten
Pralinen und Weihnachtsgebäck auf Hochtouren. Vielleicht
steckt ja so manches davon heute in Ihrem Nikolausstiefel...
Von Anja Hecking
Hildegard hat den Ärger um die
gestörte Telefonleitung nicht mitbekommen. Sie harrt in der Backstube der Dinge, die auf sie zustürmen. Es wird
wieder mal ihre heißeste Zeit im Jahr. Konditormeisterin Anemone Müller-Großmann ist aber aus einem ganz
anderen Grund ins Schwitzen geraten. Ohne Telefon ist so ein Café am Rande des Dorfes aufgeschmissen. Und das
ausgerechnet in der Weihnachtsproduktion. „Die Kunden waren verunsichert,
weil wir gar nicht erreichbar waren“, erzählt die Königshainerin. Eine
technische Panne hatte den kurzen Draht zur Außenwelt vom „Care“ gekappt. Inzwischen kann die junge
Cafébetreiberin wieder durchatmen. Die Telekom ist dabei, das Problem zu beheben. Wer auf der
Festnetznummer anruft, sollte es nur etwas länger klingeln lassen.
All das lässt Hildegard kalt. Erst,
wenn sie unter Strom steht, entwickelt sie ungeahnte Hitze. Hildegard ist eine Schokoladenmaschine. Ein uraltes
robustes Stück. Sie kann feinste Pralinen und Plätzchen umhüllen. Anemone Müller-Großmann plant den Tag dafür
genau. Sämtliche Arbeitsabläufe wollen überlegt sein, um weder Zeit noch Kraft zu verschenken. So gibt es
Schokoladen- und Ofentage – Arbeit in Etappen eben. Mit Trüffel oder Marzipan gefüllte Pralinen zum Beispiel
müssen vor dem Schokoladenguss einen Tag lang warten. Bei Nougat geht das alles zügig. Aber auch so eine
Maschine wie Hildegard schaltet man nicht einfach mal an oder aus. Es dauert seine Zeit, bis sie richtig läuft.
Die Temperatur der geschmolzenen Schokolade darf weder zu heiß noch zu kalt sein. Das wiederum ist nicht allein
Hildegards Sache.
Zeit ist etwas, von dem sich die Konditormeisterin nicht fesseln lässt. „Ich fange einfach an, ohne mir alles bis ins letzte Detail auszumalen“, sagt
die 31-Jährige. Und wenn jemand ihren Mut bewundert, mit dem sie vor fünf Jahren das Café am Fuße der
Königshainer Berge eröffnet hat, dann schüttelt sie den Kopf. „Ich mache mir am Morgen auch nie Gedanken, wann
abends Schluss ist.“ Ihre Familie weiß das. Sie ist ihr Rückhalt. Dafür gibt es auch Freiräume und ein wahres
Schlaraffenland direkt zu Hause. Nicht als Ersatz. Längst wissen die Kinder, wie eine gute Schokolade auf der Zunge
zergeht. Und wie viel Arbeit dahinter steckt. Bis man sie in der Hand hält, haben viele Menschen ihr Werk getan
– beim fernen Kakaobauern angefangen. „Davor habe ich Respekt“, sagt Anemone Müller-Großmann. Naschen
ist Genießen. Auch dafür muss man sich Zeit nehmen.
Im „Care“ läuft die Arbeit jetzt auf Hochtouren. In der letzten Novemberwoche hat das Weihnachtsgeschäft begonnen. Der große Tisch im
Eingangsraum des Cafés ist mit weihnachtlichen Pralinen und Teegebäck gefüllt. Liebevoll verpackt oder als
Kleinigkeiten zum Verzieren zurecht gemacht, gibt es die frischen Waren auch auf dem Görlitzer Klosterplatz. Die
Weihnachtsfüllungen für dieses Jahr duften nach Kirsch und Kardamom, Buttercaramel und Zimt oder
Rumfrüchten und Marzipan. „Ich kann nur Sachen herstellen, die ich selbst mag“, sagt Anemone Müller-Großmann. Sie
ist davon überzeugt, dass man nur so seine Arbeit auch gut machen kann. So probiert sie ihre Pralinen
natürlich selbst aus. Kosten müssen aber auch andere – die vier bis fünf
Mitarbeiter zum Beispiel, die sie in Konditorei, Restaurant und Café beschäftigt. Oder eben die Familie. Das Genießen
fällt hier niemandem schwer.
Eine gute Schokolade darf dabei nur aus wenigen Zutaten bestehen. Die ordert das Café direkt bei den Produzenten. Geht etwas aus, ist
die Ware schnell nachbestellt und innerhalb von anderthalb Tagen oder höchstens einer reichlichen Woche
geliefert. An diesem Punkt muss die Königshainerin dann aber doch über einen Tag hinaus schauen. Oder
umdisponieren. Pralinen bekommt sie von der Familie oder im Freundeskreis selten geschenkt. Es sei denn, es sind
ganz außergewöhnliche Sachen. „Das einzige, was ich heiß und innig liebe und worauf ich jedes Jahr regelrecht
warte, sind die gebackenen Schokostangen von meiner Oma.“ Aber auch sie ist keine Schokoladen-Herstellerin.
Parallelen gibt es da noch am ehesten zu Hildegard. Sie schwelgt –einmal eingeschaltet – so kurz vor Weihnachten
regelrecht in Schokoladeund lässt sich dabei weder von Zeit noch einem gestörten Telefon beirren.
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Aus "Tausche Bürostuhl gegen
Motorradsattel" ; von
Rainer Janneck
Görlitz
Heute geht’s nach Görlitz. Christian aus Travemünde und sein
dreijähriger Sohn Johannes holen mich ab. Christian ist ein Freund und
Ex-Kollege aus meiner Hamburger Werbe-Vergangenheit. Er ist heute irgendwas
Wichtiges in einer großen Hamburger Werbeagentur. Es ist früher morgen,
Christian ist mit seinem Privat-Auto angereist. So ein Zuhälterauto mit vielen
Zylindern, vielen PS, Automatik und natürlich ein Cabriolet. Er ist hier
geboren, in Görlitz, 1980 ging er mit seiner Mutter in die BRD, der Vater,
Geschäftsführer eines größeren Textilbetriebes, blieb in der DDR. Geschichte und
Geschichten. Heute wollen wir drei Männer mit seiner Ludenkiste rund um Görlitz cruisen, er will mir seine Orte der Kindheit zeigen. Auf allerkleinsten Strassen
geht es um Görlitz in die Büsche, selten schneller als 40-50km/h. Dittmannsdorf,
Mengelsdorf, Pfaffendorf, Deutsch-Paulsdorf, Jänkendorf. Wie als Antwort auf die
„–dorf“ Orte folgen plötzlich nur noch „-itz“ Orte: Meuselwitz, Klein-Radmeritz,
Zoblitz, Lautitz, Nostitz, Maltitz. Immer mehr. Die scheinen sich durchgesetzt
zu haben. Unbekannt war mir bisher, dass mit einem solchen, fast zwei Tonnen
schweren Cabriolet mit Automatik und reichlich Leistung ein so entspanntes
Dahingleiten möglich ist. Mit meinem schweren Motorrad wäre ich hier nicht
hingekommen. Immer wieder berühre ich während der langsamen Fahrt die hohen
Grashalme am Wegesrand, sie umschmeicheln meine Finger. Wir halten mitten im
Wald, an einem Fischteich, auf einer Wiese. Christian erzählt zu fast jedem Weg
eine Geschichte. Besonders erinnert er sich an das Mädchenheim, er war knapp
sechzehn, die Hormone spielten verrückt. Lächelnde Erinnerungen. Ich bin
begeistert von der Menschenleere. Stundenlang fahren wir allein durch die
Wälder. Er erzählt und erzählt. Von minderwertiger Kohle, die erst mit
zusätzlichen Öl überhaupt brannte, die Russen hätten den Finger auf dem Erdöl
gehabt, weswegen in der DDR Braunkohle-Tagebau betrieben wurde. Notgedrungen,
sozusagen. Das Zeug qualmte, die Russfilter waren sofort verstopft, wurden der
Einfachheit halber ganz weggelassen. Wenn er damals Fahrrad fuhr, konnte er vor
Ruß in den Augen nach kurzer Zeit nichts mehr sehen. „Die haben hier ne Sauerei
veranstaltet. Und keiner konnte was sagen. Was denn? Und wem denn?“ Die
Riesenkrater aus dem Tagebau werden jetzt geflutet und touristisch genutzt.
Kleine Boote segeln darauf. Geschichte und Geschichten überall. Weiter geht’s:
Siehste die Berge da? Da sind die Seen! Der Wald da ist toll. Da kann man nicht
spazieren, Moor, Mücken ohne Ende. Die Strassen sind klein, sehr klein. Trotzdem
in guter Qualität. Die Häuser sind fast alle bunt und einladend. Sachsen wirkt
zufriedener, lebensfroher, aufgeräumter als Brandenburg. „Nee, mehr Geld haben
die auch nicht gehabt. Die können hier aber besser damit haushalten.“
Vorläufiger Höhepunkt: Eine winzige
Strasse, die wäre mit meinem Motorrad nicht mehr zu befahren: Ca Re. Ein
sensationelles Restaurant, Cafe und Feriendomizil in den Königshainer Bergen.
Kultur vom Unschuldigsten, ohne erhobenen Zeigefinger, Essen vom Feinsten. Alles
liebevoll, gut und preiswert. Wir bleiben Stunden und wissen nicht mehr, was
schöner sein könnte. Anemone und Daniel kochen und bewirten, was das Zeug hält.
Jedes Detail ist liebevoll und liebenswert. Solange es so etwas gibt, kann
Deutschland nicht verloren sein. Sie haben gerade englische Woche. Ich nehme zu
meinem Steak eine Mellegatony-Soup. Ja, die aus Dinner-for-one von Miss Sophie.
Wir cruisen in die Wochenend-Datsche
seines Vaters in Niesky, werden begrillt und verwöhnt, gehen in einem der
nahe gelegenen Badeseen schwimmen. Bis in die zufriedene Stille Johannes
wortgewaltig reinquengelt: „Ich kann das Gesumme der Fliegen nicht mehr
ertragen.“. Das hat der echt gesagt. So ein kleiner Mann braucht Aufmerksamkeit.
Er kann noch nicht schwimmen. Wir vertrauen ihm die Bewachung unserer
Wertgegenstände an, was ihn ausreichend mit Wichtigkeit versorgt, bis wir unser
Bad beendet haben.